Vorbemerkung
Das IAASB hat im Dezember 2021 den grundlegend überarbeiteten Standard für Konzernabschlussprüfungen ISA 600 (Revised) Special Considerations - Audits of Group Financial Statements (Including the Work of Component Auditors) verabschiedet.
ISA 600 (Revised) ist erstmals auf die Prüfung von Abschlüssen für Zeiträume anzuwenden, die am oder nach dem 15. Dezember 2023 beginnen. Bei kalendergleichen Geschäftsjahren betrifft dies die Prüfung von Konzernabschlüssen mit Abschlussstichtag 31. Dezember 2024. ISA [DE] 600 (Revised) gilt erstmals für die Prüfung von Abschlüssen für Zeiträume, die am oder nach dem 15. Dezember 2024 beginnen, also erstmals für das kalenderjahrgleiche Geschäftsjahr 2025. Eine freiwillige vorzeitige Anwendung für Zeiträume, die am oder nach dem 15. Dezember 2023 beginnen, also erstmals für das kalenderjahrgleiche Geschäftsjahr 2024, ist zulässig.
Das IDW hat Fragen und Antworten: Zu besonderen Überlegungen zu Konzernabschlussprüfungen (einschließlich der Tätigkeit von Teilbereichsprüfern) nach ISA [E-DE] 600 (Revised) veröffentlicht (IDW Life 4/2024, Seite 449). Der Entwurf des ISA [E-DE] 600 (Revised) wurde am 14. Februar 2024 vom Hauptfachausschuss des IDW verabschiedet und zur öffentlichen Diskussion gestellt.
Mit dem vorliegenden Praxishinweis möchte die WPK berufsrechtliche Fragestellungen, insbesondere im Zusammenhang mit der Eigenverantwortlichkeit des Teilbereichsprüfers und mit der Zugriffsmöglichkeit auf die Arbeitspapiere des Teilbereichsprüfers, aufgreifen.
Die nachstehenden Ausführungen vermitteln einen ersten Überblick über die entsprechenden Anforderungen des ISA 600 (Revised); sie können eine intensive Befassung mit dem ISA 600 (Revised) nicht ersetzen.
Kann das erweiterte Direktionsrecht des Konzernabschlussprüfers die Eigenverantwortlichkeit des Teilbereichsprüfers beeinträchtigen?
Bei Anwendung von ISA 600 (Revised) hat der verantwortliche Konzernabschlussprüfer eine Gesamtstrategie für die Konzernabschlussprüfung und einen Konzernabschlussprüfungsplan zu erstellen und bei Bedarf zu aktualisieren. Der Konzernabschlussprüfer hat dabei
- die Teilbereiche, hinsichtlich derer Prüfungsarbeiten durchgeführt werden sollen und
- die für die Durchführung des Konzernprüfungsauftrags erforderlichen Ressourcen, einschließlich der Art sowie des zeitlichen und inhaltlichen Umfangs der Einbeziehung von Teilbereichsprüfern
festzulegen (ISA 600 (Revised) Tz. 22).
Hierdurch wird die wesentliche konzeptionelle Neuerung des ISA 600 (Revised), die Erhöhung der Verantwortlichkeiten des Konzernabschlussprüfers in Hinblick auf die Tätigkeiten des Teilbereichsprüfers, betont. Zugleich schafft ISA 600 (Revised) die bisher bestehende Verpflichtung, in bestimmten Fällen vollständige Abschlussprüfungen einzelner Teilbereiche (sog. „Full Scope Audits“) durchführen zu lassen, ab. Gleichwohl ist dies weiterhin zulässig. Es liegt im Ermessen des Konzernabschlussprüfers zu bestimmen, ob und ggf. bei welchen Teilbereichen er aufgrund seiner Risikoeinschätzung eine vollständige Prüfung durch den Teilbereichsprüfer (sog. „Full Scope Audit“) als sachgerecht oder notwendig erachtet (vgl. F & A zu ISA [E-DE] 600 (Revised) des IDW, Punkt 6.2. und Beck‘scher Bilanzkommentar, 14. Auflage, 2024, § 317 HGB Rn. 37). Hier kann der Konzernabschlussprüfer Form und Wortlaut der vom Teilbereichsprüfer abzugebenden Gesamtschlussfolgerung zu den von ihm durchgeführten Prüfungstätigkeiten vorgeben (vgl. ISA 600 (Revised) A146). Dabei kann es sich auch um eine sog. Interoffice oder Interfirm Opinion handeln (vgl. F & A zu ISA [E-DE] 600 (Revised) des IDW Punkt 6.1).
Während ISA 600 lediglich ein „Involvement“ des Konzernabschlussprüfers in die Arbeit des Teilbereichsprüfers vorschrieb, sieht ISA 600 (Revised) in Tz. 14h (ii) vor, dass der Konzernabschlussprüfer unter anderem für die Anleitung und Beaufsichtigung der Teilbereichsprüfer und die Durchsicht ihrer Tätigkeit verantwortlich ist („directing and supervising component auditors and reviewing their work“).
Die „Anleitung“ der Teilbereichsprüfer durch den Konzernabschlussprüfer geht, auch wenn sie wesentlich detaillierter geregelt ist, inhaltlich nicht über den Ansatz des vorherigen ISA 600 hinaus. Auch dort war bereits die Mitteilung der Anforderungen des Konzernprüfungsteams an den Teilbereichsprüfer mit einem bestimmten Mindestinhalt vorgeschrieben (Tz. 40). Der Begriff „Anleitung“ nach beiden Standards beschränkt sich inhaltlich auf Festlegungen, die gewährleisten sollen, dass die Arbeit der Teilbereichsprüfer durch den Konzernabschlussprüfer verwertet werden kann. Weder im ISA 600 (Revised) noch im vorherigen ISA 600 sind Ausführungen vorhanden, nach denen der Konzernabschlussprüfer mit seiner „Anleitung“ unmittelbaren Einfluss auf fachliche Entscheidungen der Einzelabschlussprüfer als Teilbereichsprüfer nimmt.
Ebenso ist der von ISA 600 (Revised) verwendete Begriff der „Beaufsichtigung“ („supervising“) zu verstehen. Auch hier geht es darum, durch Kommunikation mit den Teilbereichsprüfern sicherzustellen, dass bei der Prüfung der im Konzernabschluss zusammengefassten Teilbereiche Belange des Konzernabschlussprüfers in der Weise berücksichtigt werden, dass die Arbeitsergebnisse für diesen verwertbar sind und ergänzende Prüfungshandlungen (des Konzernabschlussprüfers) vermieden werden können. Auch insoweit bestehen Parallelen zum vorherigen ISA 600 (Tz. 41), auch wenn die Vorgaben in ISA 600 (Revised) wiederum detaillierter sind. Dem ISA 600 (Revised) ist jedenfalls nicht zu entnehmen, dass „Beaufsichtigung“ im Sinne dieses Standards als Vorgabe oder Korrektur fachlicher Entscheidungen der Teilbereichsprüfer durch den Konzernabschlussprüfer zu interpretieren ist.
ISA 600 (Revised) führt ein konzernweit einheitliches Team für die Konzernabschlussprüfung ein, zu dem neben dem Konzernabschlussprüfer auch sämtliche Teammitglieder der Teilbereichsprüfer zählen. Ferner wird in den neuen Standard in Tz. 28 eine explizite Anforderung aufgenommen, die Teammitglieder der Teilbereichsprüfer nach den Anforderungen des ISA [DE] 220 (Revised) anzuleiten und zu beaufsichtigen. Im Ergebnis kann ein Konzernprüfungspartner die Teammitglieder eines Teilbereichsprüfers in vergleichbarer Weise anleiten und beaufsichtigen, wie dies bei Teammitgliedern im Rahmen der Prüfung eines Einzelabschlusses üblich ist (vgl. auch F & A zu ISA [E-DE] 600 (Revised) des IDW, Punkt 4.3). Fraglich ist deshalb, ob die Anleitung und Beaufsichtigung („Direction and Supervision“) im Einzelfall durch den Konzernabschlussprüfer auch als Vorgabe oder Korrektur fachlicher Entscheidungen der Teilbereichsprüfer interpretiert werden könnte.
In diesem Kontext sind die deutschen berufsrechtlichen Vorschriften, insbesondere § 43 WPO und § 12 der Berufssatzung für Wirtschaftsprüfer/vereidigte Buchprüfer (BS WP/vBP), zu beachten. Berufsangehörige haben gemäß § 43 Abs. 1 WPO ihren Beruf unabhängig, gewissenhaft, verschwiegen und eigenverantwortlich auszuüben und sich insbesondere bei der Erstattung von Prüfungsberichten und Gutachten unparteiisch zu verhalten. Nach § 12 Abs. 1 BS WP/vBP haben Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer unabhängig von der Art der beruflichen Tätigkeit (§ 38 Nummer 1 Buchstabe d WPO) ihr Handeln in eigener Verantwortung zu bestimmen, ihr Urteil selbst zu bilden und ihre Entscheidungen selbst zu treffen.
Der Teilbereichsprüfer kann aufgrund eines eigenen Prüfungsauftrags tätig werden. Hierbei kann es sich sowohl um den Auftrag zur Prüfung des handelsrechtlichen Jahresabschlusses als auch um einen vom Management des Teilbereichs erteilten Auftrag zur Prüfung des Reporting Packages für Konzernzwecke handeln.
Die Berufspflichten des § 43 WPO und § 12 BS WP/vBP gelten unabhängig davon für jede berufliche Tätigkeit eines WP oder einer WPG auch im Verhältnis zwischen Teilbereichsprüfer und dem für dem für die Konzernabschlussprüfung Verantwortlichen. Als Vergleich könnte hier die Tätigkeit als angestellter Wirtschaftsprüfer herangezogen werden, die dieser aufgrund eines Anstellungsvertrags für seinen Arbeitgeber erbringt. Auch in dieser beruflichen Situation muss der angestellte Wirtschaftsprüfer gewissenhaft und eigenverantwortlich agieren (zur Eigenverantwortlichkeit vgl. die ausdrückliche Regelung in § 12 Abs. 1 BS WP/vBP), auch wenn er als Mitglied des Prüfungsteams lediglich dem verantwortlichen Prüfungspartner intern zuarbeitet. Dies muss dann erst recht für die Abgabe einer sogenannten Interoffice Opinion oder Interfirm Opinion gegenüber einer als Konzernabschlussprüfer bestellten (ausländischen) Prüfungsgesellschaft gelten. Sofern ein Berufsangehöriger aufgefordert ist, ein Prüfungsurteil zu bilden und zu kommunizieren, hat er dies gemäß § 12 Abs. 1 BS WP/vBP eigenständig zu tun und seine Entscheidung selbst zu treffen. Aus diesem Grund sind Weisungen des für die Konzernabschlussprüfung Verantwortlichen in Bezug auf konkret zu treffende berufliche Entscheidungen unzulässig. Sollte es zu unterschiedlichen Auffassungen zwischen dem Konzernabschlussprüfer und dem Teilbereichsprüfer kommen, ist zu empfehlen, diese miteinander zu besprechen und eine einvernehmliche Lösung anzustreben. Die üblichen Anweisungen bezüglich der Prüfungsdurchführung („Audit Instructions“), die nur den Rahmen der prüferischen Tätigkeit beschreiben und die Verwertbarkeit der Arbeitsergebnisse für die Konzernabschlussprüfung ermöglichen sollen, sind selbstverständlich grundsätzlich zulässig.
Wie wirken sich die erhöhten Anforderungen an die Dokumentation aufgrund des Konzepts des einheitlichen Prüfungsteams (ISA 600 (Revised) Tz. 59) auf die Konzernabschlussprüfung aus?
Die Prüfungsdokumentation für einen Konzernprüfungsauftrag muss ausreichend sein, um einen erfahrenen Prüfer, der mit der Prüfung noch nicht befasst war, in die Lage zu versetzen, Art, Zeitpunkt und Ausmaß der durchgeführten Prüfungshandlungen, die erlangten Prüfungsnachweise und die Schlussfolgerungen zu wesentlichen Sachverhalten, die sich während der Konzernabschlussprüfung ergeben, zu verstehen (ISA 600 (Revised) Tz. 59).
- Die Prüfungsdokumentation für die Konzernabschlussprüfung umfasst nach ISA 600 (Revised) Tz. A168:
- die Dokumentation in der Akte des Konzernabschlussprüfers und
- die gesonderte Dokumentation in den jeweiligen Akten der Teilbereichsprüfer, die sich auf die für Zwecke der Konzernabschlussprüfung durchgeführten Arbeiten bezieht (d. h. die Prüfungsdokumentation der Teilbereichsprüfer).
Dem Konzernabschlussprüfer ist die Einsichtnahme in alle für die Konzernabschlussprüfung relevanten Arbeitspapiere zu gewähren, soweit dies – insbesondere im Hinblick auf die Verschwiegenheitspflicht und die Einhaltung datenschutzrechtlicher Bestimmungen – rechtlich zulässig ist. Es empfiehlt sich, dass Konzernabschlussprüfer und Teilbereichsprüfer eine Vereinbarung über die Möglichkeit zur Einsichtnahme abschließen. Dies geschieht beispielsweise durch entsprechende Ausführungen in den Konzernprüfungsanweisungen und die Bestätigung von deren Annahme seitens eines Teilbereichsprüfers.
Die Verschwiegenheitspflicht des Teilbereichsprüfers wird im Fall einer Prüfung von deutschen Mutter- oder Tochterunternehmen gegenüber einem deutschen Konzernabschlussprüfer nach § 320 Abs. 3 Satz 2 HGB aufgehoben. Aufgrund dieser Durchbrechung der Verschwiegenheit ist ein Teilbereichsprüfer in diesen Fällen rechtlich nicht gehindert, dem Konzernabschlussprüfer Einsichtnahme in die betroffenen Teile seiner Arbeitspapiere zu gewähren. In allen übrigen Fällen ist eine Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht individuell mit den betroffenen Konzerngesellschaften zu vereinbaren. Dies geschieht beispielsweise im Rahmen der Annahme des Auftrags einer Konzerngesellschaft, neben einer HGB-Pflichtprüfung für Zwecke der Konzernabschlussprüfung auch eine Package-Prüfung durchzuführen.
Sollte der Teilbereichsprüfer gleichzeitig als gesetzlicher Abschlussprüfer oder auf freiwilliger Grundlage mit der Prüfung des Jahresabschlusses des Tochterunternehmens beauftragt sein, hat er dafür Sorge zu tragen, dass sich die Einsichtnahme nicht auf Arbeitspapiere erstreckt, die nicht für die Konzernabschlussprüfung relevant sind, sondern ausschließlich die Prüfung des Jahresabschlusses betreffen, es sei denn, die Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht bezieht sich auch auf diese.
Sofern der Konzernabschlussprüfer zu einer vom Teilbereichsprüfer abweichenden Schlussfolgerung bzw. einem abweichenden Urteil gelangt, hat er dies in seinen Arbeitspapieren auf Konzernebene festzuhalten. Er darf keine eigenmächtigen Veränderungen in den originären Arbeitspapieren eines Teilbereichsprüfers vornehmen oder solche Veränderungen anweisen. Diese Entscheidung liegt in der Eigenverantwortung des Teilbereichsprüfers. Eine andere Situation ist gegeben, wenn der Teilbereichsprüfer – soweit dies berufs- und datenschutzrechtlich zulässig ist – die Dokumentation seiner Tätigkeit unmittelbar in der Prüfungsdokumentation des Konzernabschlussprüfers vornimmt, da es sich damit um originäre Arbeitspapiere des Konzernabschlussprüfers handelt.
Stand: 14. November 2024